Der
Mikrokosmos Mensch ist eingebunden in den Makrokosmos Universum.
Gleich wie sich Planetensysteme um Sonnen bewegen, drehen sich die
Elektronen um den Atomkern. Das Kleine und das Große, das
Überschaubare wie das Unbegreifliche, das Fassbare und das
jede Vorstellungsdimension Überschreitende, diese scheinbaren
Gegensatzmanifestationen sind die Pole einer Einheit.
Die altchinesische Lehre von Yin und Yang beschreibt jegliche Existenz
als bedingt durch das Wechselspiel diametraler Energien.
Da also alle Erscheinungsformen durch das Wechselspiel polarer Kräfte
hervorgerufen werden, sind diese zwangsläufig auch voneinander
abhängig. Diese gegenseitige Bedingtheit ist ein Hinweis, dass
in dem einen Pol der andere immer keimhaft enthalten ist. Die chinesische
Bezeichnung "hsiang shen" trägt in ihrer Übersetzung:
beiderseitiges Entstehen oder auch Unzertrennlichkeit – den
Schlüssel zum Verständnis der Beziehung zwischen Yin und
Yang. Unser Dasein, unser Erleben, wird durch die Wechselwirkungen
dieser diametralen Energien bedingt. Gegensatzmanifestationen wie
Leben und Tod, Ich und Du, Gestern und Morgen beschreiben in der
Polarisierung einen lebendigen Fluss: die durchdringende Schöpfung
von den sich abwechselnden Phasen der empfangenden Ruhe und der
zeugenden Bewegung. Das Yin/Yang Prinzip beschreibt eine Partnerschaft,
die danach strebt, in einer tiefgreifenden Vereinigung völlige
Erfüllung zu finden.
Yin beinhaltet den Bereich der unbegrenzten Möglichkeiten.
Das Wesen seiner Natur ist durchdrungen von Formlosigkeit und Ungerichtetheit.
Die Weite des Ozeans, die Unergründlichkeit des kollektiven
Unbewussten, Traumbilder der Seele – der Yin-Bereich lässt
sich nur erleben, indem man sich absichtslos in ihn hineinfallen
lässt. Lass doch mal los... Hier finden wir den Strom mystischer
Verschmelzung. Medialität, Fantasien, Träume und Wünsche
sind Spiegelungen des Yin. Es repräsentiert unser Unbewusstes
im Persönlichen wie auch im kollektiven Sinne. Jeder Mensch
verfügt über ein magisches Empfinden, hat einen Sinn für
den Zauber der Wirklichkeit. Unsere Vorstellungskraft und Hingabefähigkeit
entnehmen wir diesem schillernden Minus-Pol, der die seelische Eigenart
einbettet. Yin steht für die Verbindung zum Urgrund –
für das Verhältnis zum Ursprung – für den irrationalen
Teil, der sich durch bedingungsloses Vertrauen erschließt.
Hier findet man die Weisheit um die Illusionshaftigkeit aller Erscheinungen,
die in eine transparente und transzendente Bewusstseinsform mündet.
Erfüllt von kollektivem Fluss, jenseits des Persönlichen,
strebt es nach Loslösung von jeder Wertvorstellung, nach Widerspruchslosigkeit,
Harmonie und Vereinigung mit dem schon in ihm angelegten Gegenpol,
dem YANG. In dessen Intention, das Sein geistig zu durchdringen,
schafft es zielgerichtet und aktiv Formen, versucht den Bereich
der unbegrenzten Möglichkeiten systematisch zu erfassen. Es
repräsentiert das dynamische Streben nach Individuation und
kreativer Entfaltung. Unsere Handlungsfähigkeit und der Drang
nach bewusster Verwirklichung entspringen diesem herausfordernden
Plus-Pol, der das schöpferische Prinzip symbolisiert. Es ist
der rationale Teil in uns, der sich durch Strukturierungen, kritische
Analyse, Orientierung und Separation ausdrückt.
Die Analyse der westlichen Lebensweise lässt darauf schließen,
dass wir in einem Yang-geprägten Wertsystem leben (Patriarchat,
Leistungsprinzipien). Die Vernachlässigung des Yin-Bereiches
lässt Probleme entstehen, die eine moderne Psychologie zu entschlüsseln
versucht. Ein weiteres Zeichen dieser Diskrepanz offenbart sich
in dem Interesse an östlich orientierten Philosophien, Religionen
und Heilmethoden.
Das
sich bedingende Wechselspiel unserer polaren Einstellung zeigt sich
in der Verbindung zur Umwelt.
Da Yin und Yang von Natur aus in einem gleichberechtigten Bezug
zueinander stehen, melden sich in einer stark yang-betonten Lebensweise
die Verkümmerungen des Yin in Form von seelischen Störungen,
Komplexen und Neurosen.
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Ist der Zugang zum Urvertrauen gestört, führen unsere
Handlungen statt zu einer fruchtbaren Zufriedenheit zu Ängsten
und Misstrauen. Diese Phänomen stellt sich ein, wenn wir
uns scheinbar vom Urgrund abgespalten haben und die zielgerichteten
geistigen Emanzipationsversuche keine Spiegelung erfahren. Blockierungen
im Yang-Bereich zeigen sich in Motivations- und Antriebslosigkeit
sowie fehlendem Optimismus. Die Entfaltung der Gestaltungskräfte
stagniert und somit kann keine bewusste Entwicklung stattfinden.
Wir können Yin als unseren Raum betrachten und Yang als die
aktive Erfüllung. Yin ist die Weisheit und Yang ist die Methode
– ein Team, dass unseren Lebensweg zu einer sinnreichen
Gestaltung und harmonisierenden Vollendung führt.
Die Astrosomatik greift dieses Zusammenspiel gegensätzlicher
Kräfte auf. Der Körper setzt sich sowohl aus harten,
festen Substanzen wie den Knochen, Knorpeln, Zähnen und Nägeln
als auch aus weichen und flüssigen Bestandteilen wie Fleisch,
Muskeln, Blut, Lymphe und Galle zusammen. Die psychischen Energien
sind einerseits aktiv, männlich, rational, expansiv, wie
auch gefühlsorientiert, weiblich, introvertiert und irrational.
In der Kosmologie des Taoismus wird die gesamte Genese auf die
Urspannung konträrer Kräfte zurückgeführt
und als Wechselwirkung von Yin und Yang bezeichnet. Gesundheit
beschreibt den Zustand des harmonischen Zusammenspiels dieser
Energien – Disharmonie äussert sich in Krankheit. Stellt
ein Individuum ständig seine Stärke, Prinzipientreue,
Unangreifbarkeit zur Schau, so muf3 sein Innen-Bereich zwangsläufig
verkümmern. Es wird gefühlskalt und verarmt seelisch.
Diese psychologische Haltung führt als Überreaktion
der Yang-Energien zu Verhärtungen, Sprödigkeit und einer
Überschätzung der eigenen Kraftreserven. Als extremste
Körperreaktion wäre hier ein Schlaganfall (als Folge
von Überforderung und Verhärtungen) vorstellbar. Ein
Mensch, der sich fast ausschließlich auf die Yin-Seite des
eigenen Wesens (Gefühlsbetontheit, Nachgiebigkeit, Passivität
etc.) bezieht, kann als Folge dieser Übersteigerung unter
Minderwertigkeitsgefühlen (der Umwelt hilflos ausgeliefert),
Weltfremdheit, Entscheidungsunfähigkeit und irrationalen
Ängsten leiden. Körperlich könnte sich diese Haltung
im schlimmsten Falle als Krebs auswirken. Es ist auch möglich,
dass der unterdrückte und damit vergewaltigte Bereich Ventile
findet, um seinen Protest zu bekunden. Im ersten Fall wäre
dies in Form von (Alp-)Träumen, Depressionen oder Paranoia
möglich, im zweiten Fall könnte sich die Yang-Energie
durch plötzliche Ausbrüche der angestauten Aggressionsenergie
oder einem Amok-Lauf entladen. Ohne Zweifel mul3 eine konsequente
Nichtbeachtung eines Wesenanteils auf die Dauer eine Wirkung auf
körperlicher Ebene in Form einer somatischen Erkrankung nach
sich ziehen. Einfache Therapiemöglichkeiten wären hier,
neben der intellektuellen Bewusstmachung, die natürlich vor
allem anderen erfolgen muss, einen Ausgleich über Essen,
Kleidung und Lebensgewohnheiten anzustreben, um so die dringend
notwendige psychische Umschichtung zu erleichtern. Eine einfache
Richtlinie hierzu ist, dass jede fleischliche, herbe, bittere
Kost dem Yang, alles pflanzliche, süße dem Yin-Bereich
zugeordnet ist; das Farbspektrum von gelb, orange, rot Yang und
von Grüntönen bis blau Yin-, Aktivität Yang-, Schlaf
und Ruhe Yin-Entsprechungen sind, so müsste der Yang-übersteigerte
Mensch sich in Ernährung, Kleidung und Tagesablauf yinisieren
und umgekehrt. In der Realität wird man sicherlich nur selten
diese beiden Extreme in Reinform finden, doch sollen diese Beispiele
lediglich darauf hinweisen, wie wichtig es ist, sich als Ganzheit
zu begreifen: sowohl als weiblich-passiven-unbewussten-irrationalen
Gefühlsmenschen wie auch als männlich-aktiven-bewusstenrationalen
Willensmenschen. In dem Annehmen der eigenen Gegensätzlichkeit
und Vielschichtigkeit, dem Akzeptieren des im eigentlichen Sinne
androgynen Wesens liegt schon der wichtigste Schritt zur psychischen
und physischen Gesundheit. |